Die Abkehr der USA von der Liberalen Internationalen Ordnung:
Mythos, Realität und Antworten auf Trump 2.0
Mythos, Realität und Antworten auf Trump 2.0
Unter Präsident Donald Trump fordern die USA die Liberale Internationale Ordnung (LIO) heraus, als deren Gründerin und Verfechterin sie bislang galten. Die LIO ist in ihren Verfahren dem offenen, inklusiven Multilateralismus sowie in ihrer Substanz dem politischen und wirtschaftlichen Liberalismus verpflichtet. In den ersten Wochen seiner zweiten Amtszeit hat Trump erneut zahlreiche multilaterale Institutionen wie internationale Organisationen (IOs) und Abkommen attackiert, welche die Werte der LIO verkörpern. So kritisierte er die Organisation des Nordatlantikvertrags (NATO) und stellte deren Beistandspflicht in Frage. Die USA setzten Zölle und protektionistische Politiken in Verachtung der Freihandelsregeln der Welthandelsorganisation (WTO) ein und blockierten die Ernennung neuer Richterinnen und Richter für deren Appell-Gerichtshof. Trump kürzte auch die Finanzierung für multilaterale Entwicklungshilfe, unter anderem für die Projekte zahlreicher Institutionen der Vereinten Nationen (UN) und fror alle Beiträge für das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) ein. Schließlich ordnete Trump einen grundsätzlichen Review der US-Unterstützung für und Teilnahme in allen multilateralen Institutionen an und beendete umgehend die Mitgliedschaft der USA in der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem Pariser Klimaabkommen und dem UN-Menschenrechtsrat. Bei Verfechterinnen und Verfechtern der LIO schürt Trump daher große Sorgen um die Zukunft des Multilateralismus und es ist sogar die Rede vom „Tod der Amerika-gemachten Welt.“
Welche Attacken auf multilaterale Institutionen sind von Trump 2.0 noch zu erwarten? Wie werden sich diese auf die LIO auswirken? Und wie sollten Deutschland und Europa auf Trump 2.0 reagieren? Orientierung bei der Beantwortung dieser Fragen liefert ein systematischer Blick auf frühere Fälle der Abkehr der USA von der LIO unter Trump 1.0 und darüber hinaus. Dieser Beitrag zieht deshalb eine systematische Bilanz des Rückzugs der USA vom Multilateralismus und dessen Folgen. Die historisch-vergleichende Analyse erlaubt es, vier in der öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Debatte weit verbreitete Annahmen über Trumps „America First“-Politik und ihre Auswirkungen zu korrigieren: Erstens ist der Rückzug der USA aus multilateralen Institutionen kein vollkommen neues, Trump-spezifisches Phänomen, sondern Teil eines historischen Musters. Zweitens waren die Entscheidungen zur Beendigung der US-Unterstützung für multilaterale Institutionen unter Trump bislang nicht irrational oder erratisch, sondern folgten einem strategischen Kalkül. Drittens sind. die von den USA verlassenen Institutionen keineswegs zum Scheitern verurteilt, sondern erwiesen sich oft als resilient. Viertens wurde das von den USA hinterlassene Macht-Vakuum nicht durch revisionistische Mächte wie China oder Russland gefüllt, sondern oft durch andere westliche Mächte und insbesondere durch die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedsstaaten. Aus diesen Befunden ergeben sich wichtige Lehren für Europas Antwort auf Trump 2.0.
Tim Heinkelmann-Wild 2025: “Die Abkehr der USA von der Liberalen Internationalen Ordnung: Mythos, Realität und Antworten auf Trump 2.0.” In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) „Liberale Weltordnung“, 22–23/2025.